Mensch oder Maschine: Die Zukunft des Schreibens

Mensch oder Maschine: Die Zukunft des Schreibens

Mein gesamtes Berufsleben lang habe ich geschrieben.

Das Schreiben hat mich an meiner Arbeit immer am meisten interessiert. Wobei: Beschäftigt habe ich mich vor allem mit dem fertigen Text. Wie gut, wie originell, wie lesbar, wie auf den Punkt er geworden ist.

Es ging immer nur um den Text

Auch in meinen journalistischen Fortbildungen ging es immer nur um das Endprodukt, den Text. Was man weglassen soll. Was Phrasen sind, was Füllwörter. Wie man einen Text aufbaut, konzipiert, mit szenischem Einstieg, knackigen Zitaten, pointierten Schlusssätzen.

Worüber ich niemals nachgedacht habe: Was passiert eigentlich in uns selbst, wenn wir schreiben? Welche Prozesse durchlaufen wir, während unsere Gedanken sich über unsere Finger in Buchstaben verwandeln und dadurch für andere sichtbar werden? Bilder erschaffen, Gefühle erzeugen, Konzepte erklären?

Writing to learn: Der Prozess des Schreibens

Schreiben ist eine unglaublich komplexe Leistung unseres Gehirns. Erst in meiner Ausbildung zur Schreibberaterin habe ich angefangen,  mich mit diesen Fragen zu beschäftigen.

Ich las viel über Schreibforschung und lernte das Konzept „Writing to Learn“ kennen. Es besagt, dass während des Schreibens in unserem Gehirn Prozesse ablaufen, die weit über die Textproduktion hinausgehen. Sie sind für das Lernen und das Verständnis von neuem Wissen unentbehrlich. Und: Wir verarbeiten schreibend auch Emotionen, bewältigen Vergangenes.

Schreiben ist also viel mehr als Textproduktion. Jeder, der Tagebuch schreibt, weiß das.

Kreativ schreiben? – Gedanken zur KI

Was bedeutet das alles nun vor dem Hintergrund der Zäsur, die uns mit der Veröffentlichung von ChatGPT und den anderen generativen Sprachmodellen seit November 2022 dramatisch sichtbar geworden ist?

 

 

 

 

 

 

 

ChatGPT App auf dem Handy.

Die KI ändert alles: Schreiben, Lernen, Kommunizieren

Die Art, wie wir schreiben, aber auch unser Lernen, unser Kommunizieren wird sich grundlegend ändern – ob uns das gefällt oder nicht.

Generative Sprachmodelle haben einerseits ein enormes kreatives Potenzial und können kreative Kräfte in uns fördern und freilegen. Wahrscheinlich werden sie die Art, wie wir denken beschleunigen, verändern.

Was geht verloren, wenn wir nicht mehr selbst schreiben?

Andererseits möchte ich nicht, dass der (menschliche) Prozess des Schreibens verloren geht. Ich nutze ChatGPT, aber es gibt schon Fragen, die wir diskutieren sollten.

  • Wollen wir (persönlich und allgemein) den Prozess des Schreibens komplett an eine Maschine abgeben?
  • Was geht verloren, wenn wir nicht mehr selbst schreiben?
  • Was macht es mit Lernenden, wenn sie komplexe Themen nicht mehr schreibend begreifen, weil eine Maschine diesen Prozess übernimmt?
  • Was passiert mit unserer Sprache, mit unseren Worten und den Sätzen, die wir ins uns haben? Die vielleicht nicht perfekt sind, die wir zusammensuchen müssen, für die wir Zeit brauchen – aber die es trotzdem wert sind, geschrieben zu werden?

Sogar ChatGPT findet das schwierig…

Spaßeshalber habe ich ChatGPT mit meiner letzten Frage gefüttert. Hier ist seine/ihre Antwort:

„Wenn wir das Schreiben an Maschinen abgeben, erleben wir zweifellos eine Veränderung in unserer Sprache und in der Art und Weise, wie wir uns ausdrücken. Hier sind einige Aspekte, die betroffen sein könnten:

  1. Verlust der Individualität: Jeder von uns hat eine einzigartige Weise, sich auszudrücken – unsere „Stimme“. Diese kann durch unsere Wortwahl, unseren Rhythmus, unseren Ton und unsere Perspektive definiert sein. Maschinen können Muster und Stile lernen, aber sie können nicht wirklich eine individuelle menschliche Stimme oder Persönlichkeit replizieren. Daher könnte der Verlust des selbstgeschriebenen Wortes zu einer Homogenisierung der Sprache führen.
  2. Ausdruck von Emotionen und Feinheiten: Menschliche Sprache ist unglaublich nuanciert. Wir können subtile Stimmungsänderungen, Ironie, Sarkasmus und andere komplexe Emotionen in unsere Worte einfließen lassen. Obwohl KI-Modelle immer besser darin werden, solche Nuancen zu erkennen und zu reproduzieren, sind sie immer noch weit davon entfernt, menschliche Emotionalität perfekt zu erfassen.
  3. Verlust des Lernprozesses: Schreiben ist nicht nur eine Form der Kommunikation, sondern auch eine Art des Denkens und Lernens. Indem wir unsere Gedanken in Worte fassen und aufschreiben, können wir neue Einsichten gewinnen, unsere Ideen klären und kritische Denkfähigkeiten entwickeln. Wenn wir aufhören zu schreiben, verpassen wir diese wichtige Gelegenheit zur persönlichen und intellektuellen Entwicklung.
  4. Gefahr der Manipulation: Während KI dazu beitragen kann, unsere Ausdrucksfähigkeit zu erweitern, besteht auch die Gefahr, dass sie missbraucht wird, um die menschliche Kommunikation zu manipulieren. Beispielsweise könnten „Deepfake“-Texte erstellt werden, die vorgeben, von einer bestimmten Person geschrieben worden zu sein, oder es könnten automatisierte Propagandatexte verbreitet werden.

Letztendlich kann die Automatisierung des Schreibens sowohl Vorteile als auch Herausforderungen mit sich bringen. Es ist wichtig, sich dieser möglichen Auswirkungen bewusst zu sein und darüber nachzudenken, wie wir Technologie in einer Weise nutzen können, die die menschliche Kreativität und Individualität respektiert und fördert.“ 

Soweit ChatGPT.

 

KI-generierter Text: Irgendwie seltsam

Abgesehen davon, dass die KI hier in ihrer in Sekunden erstellten Antwort in Vielem recht hat: Ich finde den Text nicht leserfreundlich. Viele Fremdworte. Komplizierte Sätze. Seltsame Tonalität.

Meine Erfahrung mit dem Bot bisher: Für viele „Gebrauchstexte“ mag das Ergebnis reichen, oder es lässt sich durch kluges und mehrteiliges Prompten verfeinern. Für mein eigenes Schreiben nutze ich die KI vorläufig nur fürs Grobe: Für erste Textgliederungen. Für Zusammenfassungen. Als Ideenspeicher. Als Sparringspartner beim Texten. Aber die Entwicklung geht rasend schnell weiter. Ich bin gespannt, wohin sie uns Schreibende führt.

Eine Ode an das Meer: Buch-Tipp im Juli

Eine Ode an das Meer: Buch-Tipp im Juli

Buchcover von

Eine Ode an das Meer

„Wenn mein Buch über das Meer poetisch ist, dann nicht, weil ich es bewusst so geschrieben hätte, sondern weil niemand wahrhaftig über das Meer schreiben kann, wenn er die Poesie dabei auslässt“. (Rachel Carson)

Ich liebe das Meer. Und ich liebe Bücher über das Meer. Auf meinem Urlaubslektüre-Stapel lag deswegen auch Richard Hamblyns Buch „Das Meer“, Untertitel: „Wie wir ihm seine Geheimnisse entlocken. Und es doch nie verstehen werden.“ Gelesen habe ich es am Strand, in jeder Lesepause das Türkisblau der Adria vor Augen.

Hamblyn nimmt uns mit auf eine poetische Reise über die Wellen und durch die Kulturgeschichte, zu Meeresungeheuern, Matrosen, Musik, Malerei.

Von Mythen, Monstern und Musik

„Das Meer“ verbindet sorgfältig recherchierte wissenschaftliche Fakten mit künstlerischen Ausdrucksformen und menschlichen Erfahrungen rund um eine der größten Geheimnis unseres Planeten.

Wir begegnen dem einsamsten Wal des Ozeans, Riesenkalamaren, und Bruce, dem mechanischen Monster aus Steven Spielbergs „Der weiße Hai“. Wir tauchen ein in vom Meer inspirierte Kunst, Musik, Filme und Literatur. Wir lernen die Sprache des Ozeans und das moderne SeaSpeak auf den Containerschiffen kennen. Und wir erfahren, warum die Matrosen auf Handelsschiffen Shantys sangen – und wie wichtig ihre Gesänge für den Alltag an Bord war.

Gesang, Sprache und Seefahrt

Abenteuerliche Entdeckungsreisen, uralte Handelswege, Navigation, Schiffbruch, Aberglaube: Hamblyn schöpft aus der ganzen Fülle an Themen, die die Ozeane für uns bereithalten. Dabei erzählt er unterhaltsam und genau, in Geschichten und Anekdoten, verwandelt die vielen sachlichen Informationen in eine gut lesbare, anschauliche Lektüre.

Nachdenkliche Schlussworte

Im Nachwort fordert der er den Schutz der Meere ein, für die das 20. Jahrhundert eine einzige, menschengemachte, Katastrophe war, von der Überfischung über die Verschmutzung mit Chemikalien und Plastik bis zur Erwärmung durch den Klimawandel. Er plädiert dafür, die Ozeane als weltweite Schutzzone anzuerkennen. So würden die Menschen vielleicht lernen,  ihren Wert und ihre fragilen Ökosysteme zu schätzen und Lehren aus den Fehlern der Vergangenheit ziehen.

Fazit

Wunderschön illustriertes Sachbuch, dem man allein der Bilder wegen ein größeres Format gewünscht hätte.  Informative Sommerlektüre, besonders geeignet für einen Urlaub am Meer.

Richard Hamblyn: Das Meer. Wie wir ihm seine Geheimnisse entlocken und es doch nie verstehen werden, Knesebeck, 272 Seiten, 22 Euro

 

Cookie Consent mit Real Cookie Banner