Nutzt du schon ChatGPT oder ein anderes KI-Tool für deine Texte? Vermutlich schon. Ich auch. Aber mich treibt immer noch die Frage um, was verloren geht, wenn wir Texte „produzieren lassen“. Und dabei bin ich eigentlich ein Fan von neuen Tools und neuer Technik.

 

Die emotionale Bedeutung des Schreibens: Warum Schreiben mehr als nur Text ist

Wenn wir persönliche Texte schreiben – Tagebuch, ein Journal, einen Wochenrückblick, einen persönlichen Blogartikel oder einfach nur Notizen – geht es nicht nur um das Festhalten von Informationen. Schreiben macht etwas mit uns. Im Schreibprozess verarbeiten wir Gedanken und Gefühle. Wir lernen während des Schreibens, wir entwickeln uns persönlich weiter, wir reflektieren und ordnen ein. Wir ermutigen uns selbst, suchen Lösungen oder wollen in schwierigen Situationen einfach nur schreibend unseren Kummer loswerden.

Was uns oft nicht bewusst ist: Auch im beruflichen oder wissenschaftlichen Schreiben beeinflussen uns unsere Erfahrungen und Emotionen. Das wird deutlich, wenn wir über unser eigenes Schreiben nachdenken.

 

Meine Schreibroutine: Das Drama des ersten Satzes

Bei mir ist zum Beispiel der erste Satz immer ein Drama. Es kann eine Stunde vergehen, bis ich mal loslege. Erstmal Nüsse holen! Dann denke ich nach, brösele Nusssplitter in meine Tastatur. Dann schreibe ich ein Wort, vielleicht sogar einen halben Satz. Dann lösche ich alles wieder. Gehe in die Küche, schmier‘ ein Brot. Brösele wieder in die Tastatur. Fange neu an. Mach‘ Kaffee. Trinke. Hole ein Bonbon. Füttere den Hund. So geht das eine Weile.

Irgendwann sitzt der erste Satz. Dann kommt die Magie.

 

Flow oder die Magie des Schreibens

Es gibt keine Pausen mehr, keine Nüsse und kein Hundefutter. Nur noch meinen Rechner und meine Finger auf den Tasten. Oft lösche ich Worte oder Sätze, aber das macht nichts. Die Worte oder Sätze, die ich dann ersetze, sind besser, genauer. Jetzt weiß ich, dass ich weiterschreiben werde, bis der Text gut ist. Die Aufgabe hängt nicht mehr wie ein Kartoffelsack auf meinen Schultern. Der schöne Teil hat begonnen.

An meinem holprigen Einstieg in die Arbeit sieht man gut, wie sich in mir eine innere Spannung aufbaut, bis ein Anfang gemacht ist. Dass ich dann oft in einen „Flow“ gerate und den Text zügig herunterschreibe, kann auch daran liegen, dass ich viel Übung und das journalistische Schreiben wie ein Handwerk gelernt habe. Die Schreibhemmung, will man es denn so nennen, bezieht sich nur auf den Anfang. Vielleicht eine Art Angst vor dem leeren Blatt?

 

Schreibtechniken im Vergleich: Strukturschaffend vs. strukturfolgend

Deutlich wird auch, dass das Arbeiten mit der Tastatur und der Textverarbeitung mein Schreiben entscheidend beeinflusst. Arbeiten am Text bedeutet für mich ständiges Löschen, Ersetzen, Verbessern. Der Text entsteht in einer Art innerem „Ping-Pong“, einem Prozess, der sich wechselseitig während des Schreibens aufbaut und nährt. In der Schreibforschung nennt man das „strukturschaffendes Arbeiten“: Der Text, seine Gliederung, Kernthesen, Ideen entstehen im Schreiben.

Eine andere Herangehensweise ist das strukturfolgende Arbeiten: Hier entwirft der Schreibende zunächst eine Gliederung und baut ein Gerüst, das er nach und nach strukturiert mit Text füllt. (Das ist natürlich nur eine vereinfachte Erklärung der Schreib-Typen und es gibt auch viele Mischformen).

Exkurs: Welcher Schreib-Typ bist du? Hier kannst du zum Beispiel den Schreibtypen-Test der Uni Hamburg machen.

KI-Tools im Schreibprozess: Wie ChatGPT & Co. unser Schreiben verändern

Was hat das alles mit KI zu tun? Viel. Unsere Textproduktion ist seit der Veröffentlichung von ChatGPT in einem dynamischen Wandel, der vermutlich alle Schreibenden entweder schon erfasst hat oder erfassen wird. Chatbots verkürzen Schreibzyklen, helfen uns als kreative Partner bei der Themenfindung, Gliederung, Zusammenfassung von Texten und übernehmen oft auch schon den gesamten Schreibprozess.

Bei meiner komischen „Anfangsangst“ kann mir ein KI-Tool zum Beispiel gut helfen, schneller in den Textfluss zu kommen. Und ich nutze es auch schon für andere Aufgaben. Allerdings nicht, um zu schreiben.

 

Was KI im Schreibprozess nicht leisten kann: Die emotionale Lücke

Die Fragen, die ich mir stelle, sind: Würde sich mein Schreiben elementar ändern, wenn ich statt eines inneren „Ping-Pongs“ nur noch äußerlich redigiere? Also Texte, die der Bot nach meinen Vorgaben ausspuckt, nur noch bearbeite, anpasse, glätte? Meine komplette Schreibkompetenz würde sich aufs Redigieren und die Eingabe, das Prompten, reduzieren.

Was würde einem Text fehlen, der „ohne Gefühle“ entsteht? Ohne meine eigenen Erfahrungen? Würde ihm das Individuelle, Einzigartige fehlen? Oder würde es ihn, im Gegenteil, sogar besser machen? Gerade weil die persönlichen, subjektiven Elemente während des Entstehungsprozesses wegfallen? Weil es kein „zwischen den Zeilen“ mehr gibt? Gut möglich.

 

Zukunft des Schreibens: Automatisiertes vs. emotionales Schreiben

Was bliebe von dem zufriedenen Gefühl nach dem Schreiben? Den positiven Effekten, die ich eingangs für die persönlichen Texte beschrieben habe? Dieser emotional befriedigende, lernende, entlastende Teil des Schreibens kann uns die KI nicht abnehmen. Zumindest dieser innere, menschliche Prozess bleibt „in uns“, lässt sich nicht ins Außen verlagern.

Das Schreiben insgesamt wird sich durch die KI schnell verändern. Und dadurch wahrscheinlich auch die Emotionen beim Schreiben. Das wird vor allem auf junge Menschen zutreffen, die mit textgebender KI aufwachsen und schreiben lernen.

Bewusst bleiben sollte uns dabei, dass nicht nur unsere Emotionen das Schreiben beeinflussen. Sondern auch umgekehrt, das Schreiben unsere Emotionen.

Vielleicht wird es künftig zwei unterschiedliche Arten des Schreibens geben: Eine weitgehend automatisierte und standardisierte für unsere berufliche Textproduktion, für „Content“. Und eine persönliche, emotionale, künstlerische – für uns selbst.

Was meinst du? Schreib‘ gerne einen Kommentar.

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