Sitzt du manchmal vor dem Rechner und der Cursor blinkt dich an, als würde er sagen: „Na, kommt da noch was?“ Für mich ist der erste Satz eines Textes oft eine Herausforderung. Geht’s dir auch so? Dann könnte Freewriting eine Lösung aus der kreativen Sackgasse sein.
Was genau ist Freewriting?
Freewriting ist nicht einfach nur planloses Schreiben. Es ist eine bewährte Methode innerhalb der Schreibforschung, die hilft, den Kopf freizubekommen und dem kreativen Chaos einen geordneten Raum zu bieten. Du schreibst für eine bestimmte Zeit nonstop, ohne dich um Rechtschreibung, Grammatik oder den Sinn des Geschriebenen zu kümmern.
Eine bekannte Variation der Methode sind die „Morgenseiten“.
Dazu gibt es weiter unten einen kleinen Exkurs.
Die Psychologie hinter Freewriting
Bevor wir in die Details gehen, werfen wir einen kurzen Blick auf die Psychologie des Freewritings. Die Technik basiert auf der Idee, dass sich in unserem Unterbewusstsein mehr kreatives Potential versteckt, als wir glauben. Durch das unzensierte Schreiben ermöglichen wir diesen tiefen Gedanken und Ideen, an die Oberfläche zu treten.
Wenn das weiße Blatt dich herausfordert: Warum Freewriting?
- Blockaden lösen: Es befreit und entlastet uns, einfach mal alles rauszulassen.
- Gedanken ordnen: Es ist, als würde man eine Schublade voller Krimskrams aufräumen. Plötzlich findet man Dinge, von denen man gar nicht mehr wusste, dass man sie hat.
- Kreativität fördern: Aus dem scheinbaren Chaos des Freewritings können die faszinierendsten Ideen entstehen.
So geht’s: Die Schreibhand bleibt immer in Bewegung
- Setting: Such dir einen ruhigen Ort. Lege Stift und Papier, ein Notizbuch, dein Journal oder deinen Laptop bereit.
- Timer: Stelle einen Timer auf 5 bis 10 Minuten.
- Schreiben: Fange an zu schreiben und setze den Stift nicht ab (oder nimm die Finger nicht von der Tastatur), bis der Timer klingelt.
- Review: Lese dir durch, was du geschrieben hast. Vielleicht bist du überrascht, was alles zum Vorschein kommt. Was ist die Kernaussage, das „Herz“ deines Textes? Vielleicht kannst du diesen Gedanken oder Teile dieses „Rohtextes“ verwenden und weiterentwickeln.
Expertentipps
- Bitte kein Multitasking. Während du schreibst, sollten keine anderen Tabs oder Apps geöffnet sein. Lass dich nicht ablenken. Konzentration ist entscheidend.
- Nicht nur für Texter: Jeder, der kreative Arbeit leistet, kann von der Methode profitieren. Der Ansatz ist ideal, um einen Einstieg ins Schreiben zu finden. Die Angst vor dem leeren Blatt verliert ihren Schrecken. Der Anfang des Schreibens ist gemacht.
- Routine: Mach das freie Schreiben zu einer festen Gewohnheit, trainiere es wie einen Muskel.
Exkurs: Morgenseiten – Freewriting für den frühen Vogel
Die Morgenseiten-Methode, bekannt durch Julia Camerons Buch „Der Weg des Künstlers“ (1992), ermutigt dich, direkt nach dem Aufstehen drei Seiten handschriftlich zu füllen. Auch hier gilt: Vergiss Grammatik, Syntax oder die Lesbarkeit. Bei den Morgenseiten geht es darum, sich den Kopf frei zu schreiben, bevor der Tag so richtig losgeht. Dein Gehirn ist noch nicht mit den Sorgen und Aufgaben des Tages belastet, und du kannst deine Gedanken unzensiert fließen lassen. Die Morgenseiten wirken wie ein Warm-up für dein Gehirn. Diese Methode setzt auf die besondere Atmosphäre der Morgenstunden.
Leg den inneren Zensor lahm
Freewriting ist wie ein kleiner Urlaub für den Kopf. In der kurzen Zeit des Schreibens kannst du deine Gedanken frei lassen. Gerade für unerfahrene oder unsichere Schreiber kann Freewriting ein Gamechanger sein. Es hilft dir, innere Barrieren abzubauen und den inneren Zensor lahmzulegen. Du wirst ermutigt, spontan zu schreiben, neue Ideen und Assoziationen zuzulassen, die deine innere Zensur oder deine Selbstzweifel sonst ersticken würden. Freewriting kann eine Schatztruhe sein, die du öffnest, um zu sehen, was sich darin versteckt. Sie kann dich ins Schreiben bringen, Blockaden lösen und dich emotional entlasten.
Welche Erfahrungen hast du schon mit spontanem, freien Schreiben gemacht? Schreibe gerne einen Kommentar.
Quellen
Den Begriff „Freewriting“ prägte in den 1970er Jahren vor allem der amerikanischen Schreibpädagoge Peter Ellbow. Die Autorin und Filmemacherin Doris Dörrie nimmt in ihrem Buch „Leben, schreiben, atmen. Eine Einladung zum Schreiben“ (2019) die Technik wieder auf und lädt zum Freewriting ein. Hier gibt es eine Leseprobe.
Weitere Literatur: Bräuer, Gerd (2000): Schreiben als reflexive Praxis. Tagebuch – Arbeitsjournal – Portfolio.
Wie spannend zu lesen! Ich hatte davon noch nicht gehört, aber ich glaube, dass ich diese Methode mal ausprobieren werde. Ich schreibe gerade meine Masterarbeit und sitze manchmal so lange an Formulierungen und prüfe, ob der Anschluss zum vorherigen Absatz passt, dass ich mit dem Schreiben von wesentlichem Inhalt manchmal gar nicht weiterkomme. Danke für den Einblick!
Danke für das schöne Feedback, liebe Sabine! Gerade in der akademischen Schreibberatung wird Freewriting gerne empfohlen, um Selbstvertrauen ins eigene Schreiben aufzubauen und in eine Schreibroutine zu finden. Ich hoffe, du kannst von der Methode profitieren. Erzähl mir gerne von deinen Erfahrungen & melde dich, wenn du weitere Fragen hast. Liebe Grüße!
Wenn ich weiß, was ich grundsätzlich schreiben will, verstehe ich den Ansatz total gut.
Aber wir sind die Morgenseiten zu verstehen (oder auch free writing), wenn kein Inhalt kommt? Schreibe ich dann tatsächlich drauf los, im Sinne von, ‚ich weiß nicht was ich schreiben soll, aber es ist grad morgens und… ‚ ?
Hallo Andrea, ja, genau: Du schreibst einfach drauf los. Es geht hier um den Prozess des Schreibens, nicht um das Geschriebene. Das unterscheidet die Morgenseiten (und auch das Freewriting) vom Tagebuchschreiben oder Journaling. Wenn dir wirklich gar nichts einfällt, dann schreib das einfach auf: „Ich weiß nicht, was ich schreiben soll, aber …“.
Der Punkt dabei ist, den Schreibprozess in Gang zu setzen und deine Gedanken frei fließen zu lassen. Es gibt eben gerade keinen Druck, etwas „Sinnvolles“ oder „Nützliches“ zu schreiben. Die Technik dient dazu, den Kopf freizubekommen und Blockaden zu lösen. Oft entsteht trotzdem überraschend Kreatives.
Die Tageszeit ist dabei vollkommen egal. Abendseiten sind genauso okay ;)). Julia Cameron empfiehlt den Morgen, weil ihr selbst das Schreiben am Anfang des Tages Ruhe und Klarheit schenkt.
Hmm, klingt logisch. Das werd ich mal versuchen! Danke für den Beitrag/Input!
Hi Eva, dieses freewriting ist sehr detailliert und anschaulich von dir beschrieben. Da ich mich einige Male versuchte an Träume zu erinnern, waren meine Stenos oft auch noch mit kleinen Skizzen versehen. Das mit den kleinen Abbildungen hat wirklich morgens besonders gut geklappt, wie ich mich meine zu erinnern (…)
Hallo Sabine, danke dir für deinen Kommentar 😊. Die Idee mit den Skizzen ist super. Liebe Grüße, Eva