Monatsrückblick: Oktober 2023

Monatsrückblick: Oktober 2023

Geblieben, um zu schreiben oder: Geschrieben, um zu bleiben? Ich weiß es nicht genau. Und es ist auch egal. Das Thema Schreiben dominierte jedenfalls meinen Oktober – und mein ganzes Jahr. Oktober 2023: Ein Monat mit vielen ersten Malen. 

Back to the roots

Anfang des Monats habe ich zum ersten Mal nach vielen Monaten wieder für eine Zeitung geschrieben. Das ist eigentlich nichts Besonderes, es ist mein Beruf und ich schreibe seit über zwanzig Jahren Artikel. Und doch. Nach der Trennung von meinem langjährigen Arbeitgeber vor über einem Jahr, empfand ich die journalistische Arbeit als „verbrannte Erde“. Ich hatte keine Lust mehr. Ich wollte für keine Zeitung mehr arbeiten.

Über die Monate verblasste das Gefühl. Meine Finger kribbelten. Ich wollte wieder schreiben.  Ich mag es, im Lokalen zu arbeiten. Ich habe einer Zeitung meine freie Mitarbeit angeboten, einen ersten Auftrag angenommen. Und ja: Es hat unglaublich Spaß gemacht. Ein tiefes, gutes Gefühl: Das zu tun, was ich gelernt habe. Worin ich Routine habe. Was mir leichtfällt.

 

 

 

Beratungen mit Hund und zwei Jahreszeiten in 24 Stunden

Das zweite große Thema im Oktober war der Praxis-Baustein meiner Schreibberater-Ausbildung an der PH Freiburg. Das erste Semester verlief online. Jetzt im Oktober habe sich alle Teilnehmerinnen virtuell getroffen, um fünf Tage lang die praktische Beratung zu üben. Ich bin mit meiner Hündin Zoey ins Allgäu gefahren, um Ruhe zu haben. Wir kamen freitags bei 27 Grad im Hochsommer an. In der Nacht auf Samstag brach der Winter ein und auf den Bergen leuchtete mir am nächsten Morgen Schnee entgegen.

 

 


 

Die Arbeit war ziemlich intensiv. Außer mir machen alle die Ausbildung in einem akademischen Kontext. Deswegen ging es in den gespielten Beratungssituationen auch um Master- und Doktorarbeiten, um akademische Literaturrecherche und digitale Literaturverwaltung.  

Trotzdem habe ich viel mitgenommen, vor allem von den beiden Frauen aus meiner Beratungs-Dreiergruppe. Mir ist bewusst geworden, wie wichtig gutes Zuhören ist. Wie sehr es hilft, im Gespräch nochmal in eigenen Worten zusammenfassen, was der oder die Ratsuchende gesagt hat, um es besser zu verstehen und damit es keine Missverständnisse gibt. Wie gut unterstützt ich mich in der Rolle der beratenden Person gefühlt habe, wenn mir mein Gegenüber mit Wertschätzung und Optimismus begegnet ist. Dass es gut & hilfreich ist, sich mit seiner eigenen Schreib-Biografie zu beschäftigen. Und dass ich Freude daran habe, andere in ihrem Schreiben zu unterstützen.

 

Neue Ufer und ein bisschen seekrank

Es fühlt sich ein bisschen an, wie ein Schiff zu betreten: Leicht flau im Magen, aufgeregt, wohin die die Reise geht – und noch lange kein Land in Sicht. Ab 1. November bin ich offiziell selbstständig. Bis zum Jahresende möchte ich noch einiges erledigen und bin deswegen in „The Content Suite“ von Judith Peters eingestiegen. Sehr toller Input & Support, freue mich auf alles Weitere. 

 

Frau mit Hund an einem grünen See mit Wald und Bergen im Hintergrund.

Was war sonst noch los im Oktober?

 

  • Ich liebe Notiz-Apps – und ich habe sie alle: Evernote, Notion, Obsidian, UpNote, OneNote, Craft… Um mich nicht vollends zu verzetteln und habe ich jetzt für eine entschieden. Und es ist –  tatataaa: Notion. So ganz trivial ist das System nicht. Es ist komplex,  bietet dafür aber eine Fülle an Möglichkeiten, sich zu organisieren.
  • Zwei Blogartikel gab es im Oktober. Diesen hier, mein erster „persönlicher“ Blogpost ever. Und einen zum Thema „Freewriting“ mit supernetten Kommentaren, über die ich mich mega gefreut habe.
Spontanes, freies Schreiben: Was ist Freewriting?

Spontanes, freies Schreiben: Was ist Freewriting?

Sitzt du manchmal vor dem Rechner und der Cursor blinkt dich an, als würde er sagen: „Na, kommt da noch was?“ Für mich ist der erste Satz eines Textes oft eine Herausforderung. Geht’s dir auch so? Dann könnte Freewriting eine Lösung aus der kreativen Sackgasse sein.

 

Was genau ist Freewriting?

Freewriting ist nicht einfach nur planloses Schreiben. Es ist eine bewährte Methode innerhalb der Schreibforschung, die hilft, den Kopf freizubekommen und dem kreativen Chaos einen geordneten Raum zu bieten. Du schreibst für eine bestimmte Zeit nonstop, ohne dich um Rechtschreibung, Grammatik oder den Sinn des Geschriebenen zu kümmern.
Eine bekannte Variation der Methode sind die „Morgenseiten“.

Dazu gibt es weiter unten einen kleinen Exkurs.

 

Die Psychologie hinter Freewriting

Bevor wir in die Details gehen, werfen wir einen kurzen Blick auf die Psychologie des Freewritings. Die Technik basiert auf der Idee, dass sich in unserem Unterbewusstsein mehr kreatives Potential versteckt, als wir glauben. Durch das unzensierte Schreiben ermöglichen wir diesen tiefen Gedanken und Ideen, an die Oberfläche zu treten.

 

Wenn das weiße Blatt dich herausfordert: Warum Freewriting?

  • Blockaden lösen: Es befreit und entlastet uns, einfach mal alles rauszulassen.
  • Gedanken ordnen: Es ist, als würde man eine Schublade voller Krimskrams aufräumen. Plötzlich findet man Dinge, von denen man gar nicht mehr wusste, dass man sie hat.
  • Kreativität fördern: Aus dem scheinbaren Chaos des Freewritings können die faszinierendsten Ideen entstehen.

 

So geht’s: Die Schreibhand bleibt immer in Bewegung

  • Setting: Such dir einen ruhigen Ort. Lege Stift und Papier, ein Notizbuch, dein Journal oder deinen Laptop bereit.
  • Timer: Stelle einen Timer auf 5 bis 10 Minuten.
  • Schreiben: Fange an zu schreiben und setze den Stift nicht ab (oder nimm die Finger nicht von der Tastatur), bis der Timer klingelt.
  • Review: Lese dir durch, was du geschrieben hast. Vielleicht bist du überrascht, was alles zum Vorschein kommt. Was ist die Kernaussage, das „Herz“ deines Textes? Vielleicht kannst du diesen Gedanken oder Teile dieses „Rohtextes“ verwenden und weiterentwickeln.

 

Expertentipps

  • Bitte kein Multitasking. Während du schreibst, sollten keine anderen Tabs oder Apps geöffnet sein. Lass dich nicht ablenken. Konzentration ist entscheidend.
  • Nicht nur für Texter:  Jeder, der kreative Arbeit leistet, kann von der Methode profitieren. Der Ansatz ist ideal, um einen Einstieg ins Schreiben zu finden. Die Angst vor dem leeren Blatt verliert ihren Schrecken. Der Anfang des Schreibens ist gemacht.
  • Routine: Mach das freie Schreiben zu einer festen Gewohnheit, trainiere es wie einen Muskel.

     

    Exkurs: Morgenseiten – Freewriting für den frühen Vogel

    Die Morgenseiten-Methode, bekannt durch Julia Camerons Buch „Der Weg des Künstlers“ (1992), ermutigt dich, direkt nach dem Aufstehen drei Seiten handschriftlich zu füllen. Auch hier gilt: Vergiss Grammatik, Syntax oder die Lesbarkeit. Bei den Morgenseiten geht es darum, sich den Kopf frei zu schreiben, bevor der Tag so richtig losgeht. Dein Gehirn ist noch nicht mit den Sorgen und Aufgaben des Tages belastet, und du kannst deine Gedanken unzensiert fließen lassen. Die Morgenseiten wirken wie ein Warm-up für dein Gehirn. Diese Methode setzt auf die besondere Atmosphäre der Morgenstunden.

     

    Leg den inneren Zensor lahm

    Freewriting ist wie ein kleiner Urlaub für den Kopf. In der kurzen Zeit des Schreibens kannst du deine Gedanken frei lassen. Gerade für unerfahrene oder unsichere Schreiber kann Freewriting ein Gamechanger sein. Es hilft dir, innere Barrieren abzubauen und den inneren Zensor lahmzulegen. Du wirst ermutigt, spontan zu schreiben, neue Ideen und Assoziationen zuzulassen, die deine innere Zensur oder deine Selbstzweifel sonst ersticken würden. Freewriting kann eine Schatztruhe sein, die du öffnest, um zu sehen, was sich darin versteckt. Sie kann dich ins Schreiben bringen, Blockaden lösen und dich emotional entlasten.

    Welche Erfahrungen hast du schon mit spontanem, freien Schreiben gemacht? Schreibe gerne einen Kommentar.

    Quellen

    Den Begriff „Freewriting“ prägte in den 1970er Jahren vor allem der amerikanischen Schreibpädagoge Peter Ellbow. Die Autorin und Filmemacherin Doris Dörrie nimmt in ihrem Buch „Leben, schreiben, atmen. Eine Einladung zum Schreiben“ (2019) die Technik wieder auf und lädt zum Freewriting ein. Hier gibt es eine Leseprobe.
    Weitere Literatur: Bräuer, Gerd (2000): Schreiben als reflexive Praxis. Tagebuch – Arbeitsjournal – Portfolio.

    Emotionen beim Schreiben: Was die KI nicht kann

    Emotionen beim Schreiben: Was die KI nicht kann

    Nutzt du schon ChatGPT oder ein anderes KI-Tool für deine Texte? Vermutlich schon. Ich auch. Aber mich treibt immer noch die Frage um, was verloren geht, wenn wir Texte „produzieren lassen“. Und dabei bin ich eigentlich ein Fan von neuen Tools und neuer Technik.

     

    Die emotionale Bedeutung des Schreibens: Warum Schreiben mehr als nur Text ist

    Wenn wir persönliche Texte schreiben – Tagebuch, ein Journal, einen Wochenrückblick, einen persönlichen Blogartikel oder einfach nur Notizen – geht es nicht nur um das Festhalten von Informationen. Schreiben macht etwas mit uns. Im Schreibprozess verarbeiten wir Gedanken und Gefühle. Wir lernen während des Schreibens, wir entwickeln uns persönlich weiter, wir reflektieren und ordnen ein. Wir ermutigen uns selbst, suchen Lösungen oder wollen in schwierigen Situationen einfach nur schreibend unseren Kummer loswerden.

    Was uns oft nicht bewusst ist: Auch im beruflichen oder wissenschaftlichen Schreiben beeinflussen uns unsere Erfahrungen und Emotionen. Das wird deutlich, wenn wir über unser eigenes Schreiben nachdenken.

     

    Meine Schreibroutine: Das Drama des ersten Satzes

    Bei mir ist zum Beispiel der erste Satz immer ein Drama. Es kann eine Stunde vergehen, bis ich mal loslege. Erstmal Nüsse holen! Dann denke ich nach, brösele Nusssplitter in meine Tastatur. Dann schreibe ich ein Wort, vielleicht sogar einen halben Satz. Dann lösche ich alles wieder. Gehe in die Küche, schmier‘ ein Brot. Brösele wieder in die Tastatur. Fange neu an. Mach‘ Kaffee. Trinke. Hole ein Bonbon. Füttere den Hund. So geht das eine Weile.

    Irgendwann sitzt der erste Satz. Dann kommt die Magie.

     

    Flow oder die Magie des Schreibens

    Es gibt keine Pausen mehr, keine Nüsse und kein Hundefutter. Nur noch meinen Rechner und meine Finger auf den Tasten. Oft lösche ich Worte oder Sätze, aber das macht nichts. Die Worte oder Sätze, die ich dann ersetze, sind besser, genauer. Jetzt weiß ich, dass ich weiterschreiben werde, bis der Text gut ist. Die Aufgabe hängt nicht mehr wie ein Kartoffelsack auf meinen Schultern. Der schöne Teil hat begonnen.

    An meinem holprigen Einstieg in die Arbeit sieht man gut, wie sich in mir eine innere Spannung aufbaut, bis ein Anfang gemacht ist. Dass ich dann oft in einen „Flow“ gerate und den Text zügig herunterschreibe, kann auch daran liegen, dass ich viel Übung und das journalistische Schreiben wie ein Handwerk gelernt habe. Die Schreibhemmung, will man es denn so nennen, bezieht sich nur auf den Anfang. Vielleicht eine Art Angst vor dem leeren Blatt?

     

    Schreibtechniken im Vergleich: Strukturschaffend vs. strukturfolgend

    Deutlich wird auch, dass das Arbeiten mit der Tastatur und der Textverarbeitung mein Schreiben entscheidend beeinflusst. Arbeiten am Text bedeutet für mich ständiges Löschen, Ersetzen, Verbessern. Der Text entsteht in einer Art innerem „Ping-Pong“, einem Prozess, der sich wechselseitig während des Schreibens aufbaut und nährt. In der Schreibforschung nennt man das „strukturschaffendes Arbeiten“: Der Text, seine Gliederung, Kernthesen, Ideen entstehen im Schreiben.

    Eine andere Herangehensweise ist das strukturfolgende Arbeiten: Hier entwirft der Schreibende zunächst eine Gliederung und baut ein Gerüst, das er nach und nach strukturiert mit Text füllt. (Das ist natürlich nur eine vereinfachte Erklärung der Schreib-Typen und es gibt auch viele Mischformen).

    Exkurs: Welcher Schreib-Typ bist du? Hier kannst du zum Beispiel den Schreibtypen-Test der Uni Hamburg machen.

    KI-Tools im Schreibprozess: Wie ChatGPT & Co. unser Schreiben verändern

    Was hat das alles mit KI zu tun? Viel. Unsere Textproduktion ist seit der Veröffentlichung von ChatGPT in einem dynamischen Wandel, der vermutlich alle Schreibenden entweder schon erfasst hat oder erfassen wird. Chatbots verkürzen Schreibzyklen, helfen uns als kreative Partner bei der Themenfindung, Gliederung, Zusammenfassung von Texten und übernehmen oft auch schon den gesamten Schreibprozess.

    Bei meiner komischen „Anfangsangst“ kann mir ein KI-Tool zum Beispiel gut helfen, schneller in den Textfluss zu kommen. Und ich nutze es auch schon für andere Aufgaben. Allerdings nicht, um zu schreiben.

     

    Was KI im Schreibprozess nicht leisten kann: Die emotionale Lücke

    Die Fragen, die ich mir stelle, sind: Würde sich mein Schreiben elementar ändern, wenn ich statt eines inneren „Ping-Pongs“ nur noch äußerlich redigiere? Also Texte, die der Bot nach meinen Vorgaben ausspuckt, nur noch bearbeite, anpasse, glätte? Meine komplette Schreibkompetenz würde sich aufs Redigieren und die Eingabe, das Prompten, reduzieren.

    Was würde einem Text fehlen, der „ohne Gefühle“ entsteht? Ohne meine eigenen Erfahrungen? Würde ihm das Individuelle, Einzigartige fehlen? Oder würde es ihn, im Gegenteil, sogar besser machen? Gerade weil die persönlichen, subjektiven Elemente während des Entstehungsprozesses wegfallen? Weil es kein „zwischen den Zeilen“ mehr gibt? Gut möglich.

     

    Zukunft des Schreibens: Automatisiertes vs. emotionales Schreiben

    Was bliebe von dem zufriedenen Gefühl nach dem Schreiben? Den positiven Effekten, die ich eingangs für die persönlichen Texte beschrieben habe? Dieser emotional befriedigende, lernende, entlastende Teil des Schreibens kann uns die KI nicht abnehmen. Zumindest dieser innere, menschliche Prozess bleibt „in uns“, lässt sich nicht ins Außen verlagern.

    Das Schreiben insgesamt wird sich durch die KI schnell verändern. Und dadurch wahrscheinlich auch die Emotionen beim Schreiben. Das wird vor allem auf junge Menschen zutreffen, die mit textgebender KI aufwachsen und schreiben lernen.

    Bewusst bleiben sollte uns dabei, dass nicht nur unsere Emotionen das Schreiben beeinflussen. Sondern auch umgekehrt, das Schreiben unsere Emotionen.

    Vielleicht wird es künftig zwei unterschiedliche Arten des Schreibens geben: Eine weitgehend automatisierte und standardisierte für unsere berufliche Textproduktion, für „Content“. Und eine persönliche, emotionale, künstlerische – für uns selbst.

    Was meinst du? Schreib‘ gerne einen Kommentar.

    Eine Zeitreise in die Neunziger: Buch-Tipp im August

    Eine Zeitreise in die Neunziger: Buch-Tipp im August

    Bitte anschnallen und das Rauchen einstellen. Unsere Zeitkapsel landet in wenigen Sekunden im Jahr 1989. Wir befinden uns in der Mohrenstraße in Ostberlin, im Internationalen Pressezentrum der DDR. Es ist der 9. November und Günter Schabowski wird mit seinem bekannten Halbsatz: „Nach meiner Kenntnis ist das sofort, unverzüglich“, das Ende der DDR einläuten.

     

    Sprung in die Zukunft: Das Raum-Zeit-Empfinden ändert sich

    Von diesem Moment an ändert sich das Raum-Zeit-Empfinden. So beschreibt es Jens Balzer im ersten Kapitel von „No Limit. Die Neunziger. Das Jahrzehnt der Freiheit“. Die Zeit beginnt zu rasen. Räume öffnen sich. Der endlose Wachtraum, der Dornröschenschlaf, in dem sich die DDR seit Beginn der 1980-er Jahre befunden hat, endet abrupt. Weicht einer neuen Dynamik, einem rasenden Wandel. Ein neues Zeitalter beginnt.

     

    Mauerfall und einstürzende Türme

    Und es endet, so Balzer im letzten Kapitel des Epochenritts, am 11. September 2001 in New York City.  Am Anfang der Mauerfall, am Ende einstürzende Türme: In diese zeitliche und historische Klammer setzt der 1969  geborene Autor seine lesenswerten Reisen durch die Dekade. No Limit: Der Titel ist angelehnt an den gleichnamigen Song von „2 Unlimited“ aus dem Jahr 1993 und gleichzeitig eine Anspielung auf die fallenden Grenzen in Europa, die das Jahrzehnt politisch und gesellschaftlich umwälzen.

    Soundtrack der Freiheit: Techno und Weltschmerz

    „Das Jahrzehnt der Freiheit“, wie das Buch im Untertitel heißt, feiert die Individualität, das Arschgeweih, Baywatch und die Spice Girls. Im Hintergrund rauscht der Soundtrack der Epoche: Der kollektive Beat des Techno, Nirvanas Hymnen an den Weltschmerz, Fanta-Vier-Deutschrap, die Synthesizer des Eurodance.

    Mehr als nur Nostalgie: Der Preis der Freiheit

    Wer ein warmes Bad in Nostalgie erwartet, wird allenfalls bedingt bedient. Freiheit hat ihren Preis: Balzer beschreibt die politischen und gesellschaftspolitischen Verwerfungen in Deutschland, Europa und weltweit ausführlich und lässt uns Leser auch an seiner Haltung dazu teilhaben.

     

    Die Neunziger wirken bis in die Gegenwart hinein

    Wer dabei war, wird sich dennoch gerne an all das erinnern lassen, was in den 90ern begann und bis in die Gegenwart hineinwirkt: Optimierungskult und Schönheitswahn, Privatfernsehen, Serien, Mobiltelefone und das World Wide Web.

     

    Paradigmenwechsel im Schreiben: Befreiung aus dem Linearen

    Für Schreibende spannend: In Kapitel 11 zeichnet Balzer nach, wie die damals neuen Textverarbeitungssysteme unser bis dahin lineares, analoges Schreiben revolutionierten.  Musste bislang ein Text bis ins Kleinste vorgeplant oder Satz für Satz konzentriert, logisch-linear und der Reihenfolge nach auf der Schreibmaschine heruntergetippt werden, hält nun kreatives Chaos Einzug in den Schreibprozess. Fortan lassen sich problemlos Buchstaben, Worte, Sätze und ganze Absätze verschieben, löschen, verändern, neu zusammensetzen. Texten hieß zuvor: Linear denken. Aber unser Denken fühle sich, vermutlich, in nicht-linearen Formen viel wohler, schreibt Balzer. Die Neunziger haben unser Schreiben und Denken aus dem Gefängnis der Linearität befreit. Das Jahrzehnt der Freiheit und der fallenden Grenzen bekommt für Schreibende damit eine ganz eigene Bedeutung.

    Fazit: Nicht nur für Zeitzeugen

    „No Limit“ ist ein dichter und sprachlich kluger kulturhistorischer Abriss eines Jahrzehntes, den ich, wie die beiden Vorgänger – „High Energy“ über die Achtziger und „Das entfesselte Jahrzehnt“  (Siebziger) – gerne gelesen habe. Für alle, die die Neunziger bewusst erlebt haben, fügt er historische und kulturelle Linien und Muster zu einem lesenswerten, plausiblen Ganzen zusammen. Für alle anderen ist er eine Zeitkapsel-Reise in eine vielleicht noch unentdeckte Vergangenheit.

     

    Jens Balzer: No Limit. Die Neunziger. Das Jahrzehnt der Freitheit. 384 Seiten. Rowohlt, 2023

    Leseprobe

     

    Kreativtechniken für Schreibende

    Kreativtechniken für Schreibende

    In diesem Blogbeitrag geht es um Methoden, die unser Schreiben begleiten und uns helfen, unseren Schreibprozess voranzubringen.

    (Du kannst den etwas sperrigen Theorieteil überspringen und gleich bei den Kreativitätsmethoden anfangen, indem du im Inhaltsverzeichnis auf die jeweilige Überschrift klickst.)

    „Writer-Based Prose“ (oder „autorzentrierter Text“) ist ein Begriff aus der Rhetorik und der Schreibpädagogik, der (Hilfs-)Texte beschreibt, die hauptsächlich aus der Perspektive des Verfassers geschrieben und strukturiert sind und den eigentlichen Schreibprozess begleiten. 

    Diese Texte spiegeln in erster Linie die Denkprozesse, Erfahrungen und das Verständnis des Autors wider, anstatt sich auf die Bedürfnisse und das Vorwissen der Leserschaft zu konzentrieren.

    Beim Konzept des „Write to Learn“ wird das Schreiben als Werkzeug für das Lernen und das tiefe Verständnis von Inhalten genutzt. Es geht davon aus, dass das Schreiben selbst ein kognitiver Prozess ist, der das Lernen und Verstehen fördert. Beide Konzepte betonen den Wert des Schreibprozesses selbst, nicht nur den des fertigen Textes.

    Im Schreibfluss bleiben: Schreibproblemen begegnen

    Davon ausgehend haben sich Methoden und Techniken bewährt, die bei Schreibproblemen helfen und Schreibblockaden auflösen können. Die Methoden – wie Freewriting, Clustering oder das Führen eines Journals – helfen dabei, im Schreibfluss zu bleiben und den inneren Zensor zu umgehen.

    Mit dem Tool ChatGPT (und Künstlicher Intelligenz ganz allgemein) hat nun ein neuer „Sparringspartner“ im Schreibprozess den Ring betreten. Einen verantwortungsbewussten Umgang vorausgesetzt, kann ein Chatbot Schreibende bei der Ideenentwicklung, der Strukturierung oder der Formulierung unterstützen.

    Journaling

    Journaling oder Tagebuch schreiben ist eine effektive Methode, um Schreibblockaden zu überwinden, auch im wissenschaftlichen Schreiben.

    Es ermöglicht Schreibenden, Gedanken, Ideen, Fortschritte, Herausforderungen und Reflexionen über ihr Schreibprojekt aufzuzeichnen.

    Ein Journal bietet einen sicheren Raum, um Frustrationen, Ängste, Zweifel und Erfolge auszudrücken. Dies kann dazu beitragen, Stress abzubauen und eine positivere Einstellung zum Schreiben zu fördern.

    Alles in einem: Tagebuch, Reflexion, Kalender

    Seit vielen Jahren praktiziere ich Journaling als eine Mischung aus Tagebuch, Reflexion, Kalender, Planer, Sammlung, Tracker, Kreativitäts-Tool und privatem Workspace. Am besten arbeite ich in einem hochwertigen Notizbuch mit dicken Seiten und mit schwarzer Tinte. Es ist eines meiner wichtigsten Kreativitäts- und Struktur-Instrumente und ich profitiere sehr davon.

    Aufgrund meiner eigenen guten Erfahrung würde ich Journaling jederzeit weiterempfehlen. Jede/r Schreibende kann es individuell ihren/seinen Bedürfnissen, ihrer/seiner Motivation und ihren/seinen Schreibproblemen anpassen.

    Clustern

    Die Methode des Clusterns, die Gabriele L. Rico beschrieben hat, ist ein kreativer Prozess, der darauf abzielt, das Gehirn natürlicher und intuitiver zu nutzen als mit traditionellen linearen Methoden. Rico entwickelte die Methode zu einer Zeit, als es noch nicht üblich war, Texte auf Computern zu schreiben. Ein Text musste damals perfekt und konsequent vorgeplant sein. Löschen, Ausprobieren, Wörter verändern oder verschieben, copy & paste – all das war nicht möglich. Mit ihrem Konzept des Clusterns brach sie die Linearität des damaligen Schreibens auf.

    Rico betont, dass unser Gehirn zwei Seiten hat – die rechte, kreative und intuitive Seite, und die linke, logische und analytische Seite. Sie behauptet, dass effektives Schreiben ein Gleichgewicht zwischen diesen beiden Hirnhälften erfordere. Clustering sei eine Methode, um beide Hirnhälften zusammenarbeiten zu lassen.

    Der Schreibende beginnt mit einem so genannten Nucleus oder Kernwort, dem Kern der Idee oder des Themas, schreibt es in die Mitte eines leeren Blattes und umkreist es. Anschließend lässt man die Fantasie frei, assoziiert, schreibt alle Wörter und Phrasen auf, die einem in den Sinn kommen und verbindet diese in Linien zum Kernwort. Der Prozess wird für jedes neue Wort fortgeführt, bis eine Art „Karte“ aus Worten und Ideen, entstanden ist.

    Thematische Tiefe finden: Ideen und Struktur für deinen Text

    Clustern nach Gabriele L. Ricos Buch „Writing the Natural Way“ (deutsch: „Garantiert schreiben lernen“) zog sich als Empfehlung durch meine journalistische Ausbildung. Ich habe sie damals angewandt, um Themen zu finden oder einzukreisen oder auch, um Struktur in einen journalistischen Text zu bekommen.

    Die Methode empfinde ich als vor allem zum Strukturieren von Texten sehr hilfreich. Empfehlen würde ich sie im wissenschaftlichen Arbeiten, um Unterthemen, Kapitel und Unterkapitel zu finden. Für literarische Projekte ist sie geeignet, um thematische Tiefe zu finden, sich einem Thema assoziativ anzunähern und so die ausgetretenen Wege zu verlassen.

    Freewriting

    Freewriting beschreibt einen Prozess, in dem der Schreibende kontinuierlich schreibt, ohne sich um Grammatik, Rechtschreibung oder den logischen Fluss der Gedanken zu sorgen. Ziel ist, den inneren Zensor auszuschalten und den Gedanken freien Lauf zu lassen.

    Die Angst vor dem leeren Blatt und der Schreibaufgabe überwinden

    Gute Methode, um ANZUFANGEN oder sich warm zu schreiben. Die Angst vor der leeren Seite und der Respekt vor der Aufgabe werden kleiner. Man schreibt ja schon. Funktioniert bei mir nur so mittel gut. Die eigentliche Aufgabe wird mit dieser Methode nur aufgeschoben.

    Die Methode kann bei unerfahrenen Schreibern, denen das Schreiben an sich schon Respekt einflößt, innere Barrien abbauen. Ziel ist, den inneren Zensor auszuschalten. Der/Die Schreibende wird ermutigt, spontan zu schreiben und Assoziationen und Ideen zu erforschen, die sonst durch zu viel Selbstzensur unterdrückt würden.

    KI als Sparringspartner

    Chatbots wie ChatGPT eignet sich meiner Erfahrung nach sehr gut als Partner im Schreibprozess.  Ich kann die Unterstützung durch solche Tools Schreibenden – mit gewissen Auflagen – weiterempfehlen.

    Wer im Schreibprozess ins Stocken gerät, kann sich neue Ideen und Wege vorschlagen lassen. Gut eignen sich die Sprachassistenten auch, um Inhalte (um-) zu strukturieren und zu gliedern. Wer nicht weiterkommt, kann sich Hilfe beim Formulieren holen (auch wenn das nicht sehr kreativ ist 😉).

    Dem steht entgegen, dass Lernprozesse während des Schreibens möglicherweise verloren gehen, da der Bot dem Schreibenden diesen wichtigen Teil des „writing to learn“ abnimmt.

    Creative Writing

    Mit Creative Writing sind hier Methoden gemeint, die das literarische oder autobiografische Schreiben befeuern sollen. Es geht um Fantasie, Perspektive, Dialoge, das Prinzip: „Show, don’t tell“, den Mut, Geschichten zu erzählen oder zu erfinden.

    Übungen aus dem Creative Writing, wie sie in neuerer Zeit etwa in den Büchern von Doris Dörrie („Leben, schreiben, atmen“, Diogenes, 2019) oder Jesse Falzoi angeregt werden, eignen sich sehr gut, um Schreibproblemen entgegenzutreten.

    Profil schärfen: Spielerisch schreiberisches Selbstvertrauen aufbauen

    Die Methode schärft das eigene Profil als schreibende Person. Sie schenkt schreiberisches Selbstvertrauen. Sie übt das Schreiben auf spielerische und kreative Weise ein.

    Schreiben über das eigene Leben, Geschichtenschreiben, Gedichteschreiben oder überhaupt SCHREIBEN ist (so gut wie) immer eine Bereicherung. Und: Es macht Spaß!

    Beispiel einer Creative- Writing-Aufgabe von Jesse Falzoi:

    Der Film Yesterday spielt mit der Idee, dass es die Beatles niemals gegeben hat. Nur ein erfolgloser Musiker erinnert sich an sie. Stell dir nun vor, du bist der oder die einzige, der oder dich sich an ein wichtiges Ereignis erinnert. Schreibe eine Geschichte.